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Rites de séparation.

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Wie das Flugzeug sich Miami näherte, durch den Sonnenuntergang in die Dunkelheit hinein. Und ich mich losgelöst von allem fühlte, gekappt, schwerelos durch die Müdigkeit und die Ereignisse auf der anderen Seite. Und wie das Flugzeug stillzustehen schien: unter mir nur ein dunkles, und dennoch aus sich selbst heraus zu glimmen scheinendes Meer. Unter, über, neben mir kleine fluffige Wolkenberge. Es fühlte sich an wie Tauchen. Wir flogen einen weiten Kreis um Miami, umflogen die Gewitter. Blitze zogen durch die Wolken, aber es war nur ein Konzert. Keine Angst mehr, ich war unverwundbar, ich war Alice auf dem Weg ins Wunderland. Die Landebahn war gespickt mit unzähligen Juwelen in Blau, Grün, Orange, Rot.

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Rites de marges.

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Ich bekam das erste Taxi, obwohl ich später an der Reihe war: Richtung South Beach. Ich müsse in einer halben Stunde im Hotel sein, sonst ist die Rezeption nicht mehr besetzt. Schaffst du das? Er grinste: Will you hook me? Ich verstand nicht, er lachte, will you give me a good tip? Natürlich, ich bin die Königin des Trinkgelds. We will be there in twenty minutes. Er fuhr wie der Teufel. Ich war in Miami. Er sei der beste Fahrer der Stadt, ob ich ihm glaube. Of course. I trust you. Schon war er verliebt. Und vor meinem Fenster rauschten Palmen in der Dunkelheit vorbei, wir fuhren über Brücken, Lichter, das Taxi sprang förmlich von links nach rechts, von rechts nach links, ich musste lachen und hatte nur Augen für die Palmen. Als ich ausstieg, beschlug meine Brille. Er winkte mir noch nach, bis ich im Hotel verschwand.

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Rites d'agrégation.

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South Beach war Laziness. Ein Ort für die Verirrten. Es war einem stets etwas schwindelig, auf eine angenehme Art. Am Abend, bevor ich weiter nach Westen fuhr, badete ich im Atlantik. Ich stand mit meinen von den Flip Flops aufgescheuerten Füßen im harten Salzwasser, genoss das Brennen, das warme, grünblaue Wasser; über den Häusern am Ocean Drive ballten sich die Wolken. Am Horizont überm Meer ballten sich die Wolken. Die Luft war träge, eine ewige Ruhe vor dem Sturm. Ich bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel und drehte mich hin zum offenen Meer. Da glitt ein Pelikan auf der Höhe meines Kopfes an mir vorbei, fünf Meter entfernt. Wir sahen uns in die Augen, kurz schien er neben mir in der Luft stillzustehen, dann flog er lautlos weiter. Ich war da.

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Während ich in tropischer Hitze eine neue Welt erlebte, wendete es sich auf dieser Seite des Atlantiks zum Guten.






 
5 Kilometer von den Niederlanden und Belgien entfernt. Aus der Zeit gefallen. In eine Höhle verkrochen.






 
Tod, Liebe und Freundschaft.






Und dass es viel schwerer ist, die Bilder im Kopf, die letzten, wie sie stirbt, zuzulassen, als sie einfach zu verdrängen.






 
(Next stop Notaufnahme. Warten auf Schmerzmittel. Suche nach Netz. Der vergebliche Versuch, die anderen auszublenden. Humpeln in der Nacht.)






Wenn endlich die Hitze wieder in der Stadt weilt, wenn die Luft über der Karl-Marx-Allee flimmert, wenn alles erstarrt und ruhig und friedlich wird, wenn innen und außen auf der Haut nicht mehr unterschieden werden kann, und wenn am Abend dann die Mauersegler in großen Gruppen laut pfeifend durcheinander surren, das Pärchen Ringeltauben in der Linde raschelt und all die Lichter angehen, die Geräusche der Stadt sich zu einem Lied, zu den Strings of Nashville, verdichten, und wenn sich schließlich im Hauch der abendlichen Kühle der Duft des Sommers von der Hitze befreit und klar wird, dann bin ich wohl glücklich. Der Sommer ist jetzt meine Mutter.






 
Auf hoher, dunkler See.






 
"Als ob Herzen immer schon ahnen, was kommt. Als ob Trauer etwas ist, was man nicht früh genug lernen kann. Frühling ist ja immer Trauerarbeit. Bärlauch. Kastanien. Flieder. All das Butterhoffnungsgelb. Die im Winter sterben, sterben in sicheren Farben."

Heute wärst du 61 Jahre alt geworden. Aber es ist, als habest du es auf der 60 beruhen lassen wollen. 60 Jahre: Das war der Sieg. Der Sieg gegen alle Prognosen. Der Sieg deines mit Selbstverständlichkeit gesagten und gefühlten Satzes: Aber ich habe doch gar nichts. Die 61 wäre eine Bürde gewesen. Der Weg zur 70 zu lang.

Du hast es in dir gehabt, das Wissen um den richtigen Zeitpunkt. Wann man kommen, wann man bleiben und wann man gehen sollte.

Der Winter war zu Ende, als du gingst, und der Frühling kam am Tag deiner Beerdigung.

Und ich ertappe mich immer wieder in diesem kraftvollen, klaren Frühling, durch den ich ohne Halt stolpere, beim Gedanken: Wie gern du hier in der Sonne gesessen hättest. Und genau dies ist mein letztes schönes Bild und mein letztes Foto von dir: Wie du, fertig angezogen und bereit, um endlich aus dem verhassten Krankenhaus in deine Wohnung zurückzukehren, auf dem Bett liegst. Ich sagte zu dir: Mach ruhig nochmal die Augen zu, es dauert noch einen Moment. Und dankbar schlossest du die Augen, richtetest dein Gesicht in die Sonne und schliefst ein, friedlich. Ich machte das Foto heimlich, denn ich wusste, ich würde es bald brauchen.

Das andere Foto habe ich sofort wieder gelöscht.

Wie sehr du mir fehlen würdest, habe ich nicht geahnt. Mir fehlt nicht das Gespräch - wir waren nie Gesprächspartner, ich redete eher hilflos zu dir, immer schon in dem Gefühl, mit dem, was ich dir erzählte, sowieso nie deine Hoffnungen und Erwartungen an mich erfüllen zu können -, mir fehlt es einfach, dass du da bist. Und es ist, als sei ein großer Teil von dem gestorben, was ich bin. Und als ob ich nun von vorne anfangen muss. Ganz von vorn.

Und vielleicht gerade weil du so still warst, ist es jetzt unfassbar still geworden.







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