moserêthikê

Leben

 
Auf meinem Heimweg mit dem Rad fängt der Fremde an, mich zu verfolgen. Er belästigt mich bis gerade so an die Grenze zum körperlichen Übergriff: Er fährt von hinten auf, er stößt mit seinem Rad an meines, er setzt sich vor mich und bremst mich aus, er klingelt mich von hinten an, unaufhörlich, er murmelt irgendwelche Dinge vor sich her, er fährt dicht neben mir, er greift in meinen Lenker. Ich wehre mich mit Worten, er sagt nur: Aber ich find dich doch toll. Er sagt nur: Aber ich wollt doch nur die Uhrzeit wissen. Ich wehre mich gegen den Drang, ihn wie früher unter uns Kindern einfach zu schubsen. Denn er strahlt wirkliche Gefahr aus. Ich durchlebe in den 30 Minuten alle Stadien des Unmuts bis hin zur Panik. Bei all dem das ganz klare Wissen - er macht das mit mir, weil ich eine Frau bin. Und die Bestätigung dieses Wissens kommt prompt, als ich schlussendlich einen anderen Mann bitte, neben ihm fahren zu dürfen ob der Belästigung. Der Fremde starrt mich noch drei Minuten verwirrt bösartig an. Dann ist der Spuk vorbei. Die Ebenen meiner Müdigkeit danach sind kaum zu zählen.

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Freitag, der 13., war der Tag, an dem ich meinen geliebten türkisen Seidenschal verlor. Doch tags darauf sitze ich glücklich vor neuen Lautsprechern und die Woche ist vergessen.

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Wir saßen am Pfingstsonntag in dem kleinen plüschigen Café vor Kaffee und Kuchen. Jeder las in einer Zeitschrift und in mir waren keine Gedanken, keine Sorgen, sondern nur das reine Dasein.






 
Sie und ich müssen zusammen arbeiten und Entscheidungen treffen. Manchmal passt es. Oft nicht. Denn wir leben in unterschiedlichen Welten. Ihre ist die des Absteckens von Verantwortung und Aufgaben. Nicht mehr als nötig, vor allem nicht mehr als die anderen. Ich bin da sanfter, ich finde ein Ja schön, sehe gern die Erleichterung beim anderen. Und weiß um das Karma, das es einem heimzahlt, auch im Guten.

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Abends beim Essen spricht er zum ersten Mal darüber, wie es damals war, als zwischen Mutter und Tochter etwas zerbrach, weil beide ängstlich waren voreinander. Er spricht nicht zu mir, erzählt es bloß so. Ein bisschen halte ich den Atem an und später kommt die Traurigkeit über verpasste Gelegenheiten. Warum ging es nicht gleich damals, das Sprechen?

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Diese Grundsätzlichkeit, die in den allmonatlichen Schmerzen liegt. Eine Realität wie ein in ein Fenster geworfener Stein. Nur leidet man es leise weg.

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Ein eigentümlicher, kleiner Hund, der mit seiner leichten Dümmlichkeit, seiner Stille und seiner Freundlichkeit das Niveau angenehm senkt und dabei die Freude hebt. Und alle wissen es.






 
Langsam verheilen die Narben, und das Jahr schenkt einem drei Tage Pause. Zeit zum Luftholen, bevor der nächste Akt beginnt im Kampf um den längeren Atem.






 
Wenn sich Grundlegendes im Leben ändert und plötzlich Ängste überflüssig werden und Ziele durch ganz andere ersetzt oder auch erst getestet werden müssen, ist man mit einem Mal wieder auf hoher See, fürchtet sich vorm Klabautermann und versucht, mit geringer Kenntnis nach den Sternen zu navigieren. Und es braucht eine Weile, bis man das Meer wieder versteht und klar ist, dass es den Klabautermann nicht gibt. Man befindet sich in einer Zwischenwelt, fern von allem. Und das ist schön und beängstigend zugleich.






 
Während ich in tropischer Hitze eine neue Welt erlebte, wendete es sich auf dieser Seite des Atlantiks zum Guten.






 
Zu viel zum Schreiben. Ein Tag nach dem anderen.






 
Der Genuss, der unendliche Genuss, tagsüber absorbiert zu sein. Alles ausblenden zu können.

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Nicht richtig krank, aber auch nicht gesund. Also doch krank? Die dritte Woche.






 






 
Das Jahr bricht weg, in großen Stücken. Und das ist gut; es soll endlich vorbei sein.

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Ich wusste gar nicht genau, ob ich in München oder Hamburg war. Der Zug fuhr nach München, aber es fühlte sich wie Hamburg an. Und Dunkelheit ist überall.

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Nach vier Jahren saß ich ihm das erste mal wieder gegenüber im Büro. Sprechstunde. Es ist alles viel schicker jetzt. Schwarze Möbel. Große, türkise Kunst an der Wand. Als ich das Bild auf seinem Schreibtisch entdeckte, dasselbe, was auch ich habe, ein Bild von früher, da wäre ich am liebsten aufgestanden und hätte es berührt.

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Wir waren alle älter geworden. Die Wissenschaft macht graue Haare.

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Wehmut: Eine berufliche Familie gehabt haben, die man verlassen hat. Sie planen Weihnachtsfeiern, ich sitze allein, Tag für Tag.
Und doch wissen, auch in der Wehmut: Das wäre nichts geworden, all das Gerede, die Intrigen, die Politik, und nebenbei noch wahrhaftig bleiben.

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Das ist es, was ich am liebsten sagen würde, in all den Gesprächen: Ich bin auf der Suche nach Heimat.






 
Maximale Anspannung und Entspannung wechseln im Stundentakt. Und wie in den Situationen der Verzweiflung neue Strukturen geboren werden. Neue Ordnungen mit ihren Imperativen.







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