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Wenn ich kurz vor acht in meinen gelben Gummistiefeln den wie immer in Richtung Sommer zugewachsenen Weg gen Alsleben entlangstapfe, mein Blick liegt meist auf dem grauen Rücken der Hündin vor mir, ich stapfe sehr konzentriert, weil morgens meist mein Rücken nicht richtig mitmacht, dann sehe ich, wenn ich nach links und rechts blicke, wie die Morgensonne durch Wiesensalbei und Mohnblumen hindurchscheint. Die Schmetterlinge fliegen vor uns auf.

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Plötzlich habe ich wieder Kontakt zu einem Teil meiner alten Welt. Ein kleines Fensterchen zurück in meine beruflich schönste Zeit, die ich aber damals verlassen wollte, weil ich es in der Konstellation nicht hätte schaffen können. Und jetzt hat mir nach 13 Jahren die Akademie wieder mal Geld überwiesen.






 
Ich taumle so durch die Zeit. Da draußen enden die Katastrophen nicht. Hier drinnen komme ich nicht hinterher. Umzug, Unfall, Katze wird überfahren, das Pferd rennt über mich drüber (durch mich hindurch), Hund wird krank und nicht mehr gesund.

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Nun sind wir nur noch zu dritt: Mann, Weib, Hund, Garten.

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Das erste wirklich schwere Gewitter dieses Jahr stürmt in dieser Minute auf unser Dorf zu. Ein neues Dorf für mich, ein gutes Dorf für mich, auch wenn alle meine Lebewesen taumeln.

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Immer wenn die Hündin, deren Krankheit unser ganzes Jahr, unsern Urlaub, meine Freizeit außer Kontrolle geraten lässt, einen schlechten Tag hat, wird mein Herz so unendlich schwer. Langsamen Schrittes gehen wir unsern kurzen Weg den Hügel hinauf und wieder hinunter. Wir lächeln uns zu und dann verkrieche ich mich in mich selbst.






 
Sich im Moment gerade so durchwarten bis zur Schlüsselübergabe.






Am Freitag hat es den ganzen Tag geregnet bei 20 °C. Wir waren dann im Bördepark und mir wurde sündhaft teures Parfum gekauft. To-go-Essen von der Asia-Frau. Das war alles schön. Last days of peace and freedom.






 
Wieder einmal die Schwere der Synchronizität fühlen, die für Momente schizophrene Zustände herbeiruft.

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Auf der einen Seite die denkbar schlimmste Nachricht hören. Zuhören, nichts tun können. Unvorstellbarkeit im Kopf. Eine Familie und der Krebs.

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Auf der anderen Seite ein lebendiger, herrlicher Nachmittag. Einfach auf ein fremdes Pferd mit unbekanntem Sattel, ein sehr alter, riesiger Herr. Sonne, Sommer, sich gegenseitig aufziehen, reiten ohne Zweck und Ziel, nur zum Spaß.

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Tage, an denen Sonne und tiefste Dunkelheit zugleich da sind, alles im Kopf und im Herzen.






 
Immer wieder lerne ich neu, wie lange auf dem Land, mit Tieren, im Leben alle Entwicklungsschritte brauchen. Das sind die Momente, wo ich immer besonders merke, dass ich in der Stadt aufgewachsen bin, wo Wochenangaben schon lang sind. Jetzt sind Monatsangaben eigentlich die kürzeste Einheit für Veränderungen.

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Und so habe ich jetzt langsam nach über 1,5 Jahren nach Anschaffung des Ponys das Erleben einer Stallfreundschaft, die auf der Freundschaft unserer Pferde beruht und ihren ähnlichen Entwicklungschritten. Klar, ist meine älter, aber.

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Und so habe ich nach über 1,5 Jahren so langsam das Gefühl, das Pony ist wirklich meins, und sie weiß auch, dass sie zu mir gehört. Ich denke oft, dass es bei anderen sicher schneller geht, aber alles ist neu für mich. Ich wusste eigentlich nicht, was Vertrauen im pferdischen Sinne eigentlich bedeutet, bekomme jetzt nach all diesen vielen Monaten ganz langsam ein Gefühl dafür, wo der Weg hingehen könnte. Und das macht mich dann doch glücklich.

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Und mit dieser Entwicklung geht in ebenso langsamen Schritten wohl auch eine Entwicklung mit mir vonstatten. Weg vom Druck des ständigen Daseinmüssens, auch vom Gefühl, alles wissen zu müssen, alle Informationen haben zu müssen, überall dabei sein zu müssen. Weg vom Gefühl, man könne etwas Wichtiges verpassen.

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Mitten in der Lüneburger Heide, in dem Teil, der keine Schilder mehr hatte, wo keine Tagestouristen mehr unterwegs waren, man über Ewigkeiten einen Betonweg entlangstapfte, der zwischen blühendem Ginster, nicht blühender Heide und Sanddünen entlanglief, da kam ich in den Trott und das Hochgefühl des Weitwanderers, der nicht mehr nach dem Ziel fragt, Schritt für Schritt geht und sich in einer Raumzeitdimension befindet, die nicht mehr diese ist.

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Und ich dachte an das alte Haus, an das neue Heim, an Einsamkeit und Zweisamkeit und Ruhe und einen Garten, der wirklich mein Garten sein würde.






 
Bei manchen Gefühlen denkt man, man hat sie für sich ganz allein, da niemand sonst in dieser speziellen Lage zu sein scheint. So das Gefühl, als ich nach langer Zeit das erste Mal wieder und das erste Mal überhaupt ohne Angst gestern allein mit dem Pony selbiges ritt. Hochgefühl. Eine Kleinigkeit eigentlich, doch für mich, für uns, in unserer speziellen Situation etwas ganz Großes.

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Sonne. Der leere große Platz. Noch nicht zu viele Fliegen. Staub wird aufgewirbelt. Sie hört zu. Alles wie immer. Nebenan tollt das Fohlen.

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Heute ersticke ich in Schreibtischarbeit.






 
Wieder hierherkommen wie in das Haus am See, was den Winter über brachlag. Da draußen ist es zu hell für mich.

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Wieder kryptisch sein dürfen, wieder offen sein dürfen.

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Ein neues Jahr nach Jahren der Gleichförmigkeit. Ein neues altes Haus wartet auf uns. Ein leises Haus, ein kleines Haus, in einem kleineren Dorf. 1.300 Menschen sind zu viel, ein Haus voller Verwandter ist zu viel. Wir sind ja auch weniger geworden.







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